Texte / Prof. Dr. M. Fath

 


Helmut Günter Weis - Die Reise nach Stavropol
Prof. Dr. Manfred Fath


1998 hat der in Birkenau bei Heidelberg lebende Maler Helmut Günter Weis einen rund fünfzig großformatige Werke umfassenden Gemäldezyklus mit dem Titel "Die Reise nach Stavropol" begonnen. Diese Gemälde verdanken einem Erlebnis des Künstlers ihr Entstehen, das so tiefgreifende Eindrücke bei ihm hinterlassen hat, dass er ihnen in einem ambitionierten Bilderzyklus Dauer verleihen wollte. Helmut Günter Weis ist Pferdeliebhaber. Er besitzt drei russische Pferde, zu denen er wegen ihres besonderen Charakters und ihrer ausgeprägten Individualität eine tiefe emotionale Beziehung entwickelt hat, aus der bei ihm der Wunsch entstanden ist, einmal den ursprünglichen Lebensraum dieser Tiere aufzusuchen, um sie so besser verstehen zu können. Diese Möglichkeit bot sich ihm 1998. Im Spätsommer dieses Jahres hatte er während einer Russlandreise die Gelegenheit, ehemalige staatliche Gestüte, darunter auch das von Stavropol am nördlichen Rande des Kaukasus aufzusuchen, wo besonders edle und reinrassige Vollblutpferde gezüchtet werden.

Dem eigentümlichen Reiz der Landschaft am Fuße des Kaukasus, der liebenswürdigen Freundlichkeit der dort lebenden Menschen mit ihrem einfühlsamen Umgang mit ihren Pferden, vor allem aber der Begegnung mit den von ihm so sehr geschätzten Pferden in ihrer ursprünglichen Umgebung versucht Helmut Günter Weis in seinem breit angelegten Gemäldezyklus "Die Reise nach Stavropol" mit malerischen Mitteln Ausdruck zu verleihen. Die in den letzten drei Jahren entstandenen großformatigen Gemälde zeichnen sich durch einen erstaunlichen formalen und farbigen Reichtum aus. Das Spektrum reicht von informellen Kompositionen über Werke, in denen gestische Malerei mit strengen formalen Elementen kombiniert werden. Häufig mischte er den Farben Materialien bei und benutzte Wellpappe, um ihre Plastizität zu steigern und räumliche Wirkungen im Bild zu erzielen. In viele Gemälde fügt er Fundstücke als Realitätsverweise ein.

Die besondere Schwierigkeit bei diesem ambitionierten Vorhaben bestand für Helmut Günter Weis vor allem darin, wie er in einem Text zu seinem Gemäldezyklus erläutert, seine Eindrücke und Erfahrungen in einer ungegenständlichen Bildsprache so umzusetzen, dass das von ihm Erlebte in seinen Kompositionen so zum Ausdruck kommt, dass es für Kunst-, aber auch für Pferdeliebhaber erkennbar und verstehbar wird. Damit stellte er sich selbst den hohen Anspruch, Gemälde zu schaffen, die so komplex sind, dass sie auf sehr unterschiedliche Rezeptionsebenen für den Betrachter zugänglich sind. Zum einen galt es Gemälde zu schaffen, die auch ohne Kenntnis ihrer Entstehungsgeschichte als autonome Kunstwerke bestehen konnten, zum anderen sollte aber für den Betrachter auch etwas von der Atmosphäre und den Eindrücken spürbar werden, die den Maler dazu bewegt haben, diese Werke zu schaffen. Er selbst sagte dazu: "Das Thema wird durch Symbole, durch die Farbwahl, die verwendeten Materialien, den Ausdruck und Pathos der Bilder erschlossen.".

Der 1947 geborene Helmut Günter Weis ist als Maler Autodidakt. Mit seinen Werken steht er in der Tradition des Informel, der Malerei, in der psychische Gestimmtheiten der Künstler in einem gestischen Malakt ihren spontanen Ausdruck finden. Für diesen Gemäldezyklus hat der Künstler eine ganz eigene Bildsprache entwickelt, bei der er expressive Malerei immer wieder mit strengen Bildformen kombiniert. Dazu kommt die Verwendung unterschiedlichster Fundobjekte, die er als Realitätsverweise collageartig in seine Bilder einfügt. Mit dieser künstlerischen Vorgehensweise versucht er assoziative Bildwirkungen zu erreichen, die dem Betrachter etwas von seinen sehr persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen vermitteln sollen, ohne ihn aber in seinen eigenen, persönlichen Betrachtungen festzulegen. Der Farbe mischt er häufig unterschiedlichen Materialien wie Putz oder Sand bei, kombiniert sie mit Wellpappe oder Aluminiumplatten, um durch diese Materialkombinationen die von ihm angestrebten Wirkungen zu erreichen. So gelingt es ihm durch die Mischung von Farbpigmenten mit bestimmten Bindemitteln, die von ihm in die Malgründe eingerieben werden in Verbindung mit dem glänzenden Aluminium auf einem der Gemälde einen matten Glanz zu erzielen, der an das metallen schimmernde Fell der Pferde erinnern soll. Helmut Günter Weis bezeichnet seine Gemälde konsequenterweise als Mischtechniken.

Ihr formaler Reichtum und die Vielfalt der benutzten Materialien zeigen ihn als einen experimentierfreudigen Künstler, dessen Vorgehensweise bei der Herstellung seiner Werke aber immer streng kalkuliert ist. Das zeigt sich auch an der Wahl der Bildformate. Mit hochformatigen Bildformaten versucht er in Verbindung mit der Malerei beim Betrachter z. B. die Assoziation von Stalltüren zu wecken. Weis setzt die unterschiedlichen Mittel sehr bewusst ein, um die von ihm geplanten Wirkungen zu erreichen.

Eine ähnliche Vorgehensweise wie bei Helmut Günter Weis findet sich auch in den Werken von Antoni Tapies. Auch er mischt seine Farben häufig mit feinem Sand oder ähnlichen Materialien, die er als Paste auf seine Malgründe aufträgt, um dann in diese hineinzuarbeiten. Dadurch entstehen unterschiedliche Räumlichkeiten in den Bildern. Häufig benutzt Tapies, ähnlich wie Weis, Fundobjekte, die er als Realitätsverweise in seine Werke einfügt. Auch Schrift oder schriftähnliche gestische Zeichen finden sich bei Tapies. Helmut Günter Weis benutzt Namen von Orten oder von Pferden, die flüchtig und immer unauffällig den Kompositionen eingeschrieben werden, als Hinweis auf die Realität, auf die sich die Gemälde beziehen.

Bereits das erste, 1998 entstandene Gemälde des Zyklus (140 x 300 cm), das durch unterschiedliche Brauntöne charakterisiert ist, erkennt man vor einem transparente wolkigen Bildgrund zwei Rechteckformen mit auffallenden gestischen Spuren. Durch ihre Farbigkeit und ihre Anordnung bewirken sie den Eindruck räumlicher Staffelung im Bild. Die vorherrschende braune Farbigkeit des Gemäldes ist sowohl eine Reminiszenz an die Landschaft, aber auch an die Farbe, die bei Pferden häufig zu finden ist. Weis erinnert mit dieser Farbigkeit sowohl an den archaischen Charakter der Landschaft, gleichzeitig symbolisiert sie für ihn auch die Sensibilität der Pferde, an die auch schwarze Haltestricke, die in das Gemälde eingearbeitet sind, erinnern sollen. Ergänzend ist in flüchtiger Schrift das Wort „Stavropol“ eingefügt, das an den Ort erinnert, dem das Gemälde gewidmet ist.

Auch im zweiten Gemälde des Zyklus, das ebenfalls 1998 entstanden ist, einem schlanken Hochformat (260 x 90 cm), herrschen differenzierte Brauntöne vor. Es erinnert an den linken Flügel einer Stalltür, auf der in flüchtiger Schrift die Namen von Pferden festgehalten sind, die zum Stammbaum eines Fohlens gehören. Auch formale Hinweise, wie der Kreissegmentbogen am oberen Bildrand oder deutlich sichtbare waagerechte Linien sollen die Assoziationan eine Tür wecken.

Die Gemälde des Zyklus sind von einem beeindruckenden formalen und farbigen Reichtum. Neben Gemälden, in denen Helmut Günter Weis mit Gegenstandszitaten arbeitet, entstehen ungegenständliche Bilder, die die Assoziationen des Betrachters nicht festlegen oder in eine bestimmte Richtung lenken. So ist das ebenfalls 1998 entstandene Bild Nr. 4 durch eine leuchtend rote Farbigkeit charakterisiert, die sich am unteren rechten Bildrand nach weiß und gelb aufhellt. Von der rechten Seite schiebt sich ein gestisch gemalter schwarzer Keil mit ausfasernden Rändern vor den roten Bildgrund. Durch den Kontrast von leuchtendem rot und schwarz erzielt der Maler die Wirkung einer kraftvollen Dynamik. Ähnliches gilt auch für das 2000 entstandene Gemälde Nr. 7 aus dem Zyklus, wo vor einem lichten Bildgrund in Weiß- und Gelbtönen eine Dreieckskomposition eingefügt ist, die an die abstrahierte Silhouette eines Berges erinnert.

Mit seinem Zyklus "Die Reise nach Stavropol" sind Helmut Günter Weis beeindruckende Werke gelungen, in denen er seine Erfahrungen aus der Begegnung mit einer Landschaft, ihren Menschen, vor allem aber mit einer von ihm sehr geschätzten Pferderasse in ungegenständlichen Bildern verarbeitet, die dem Betrachter eine Fülle unterschiedlichster Assoziationen ermöglichen. Beeindruckend ist dabei der formale und farbige Reichtum dieser Werke, mit denen er die großen Formate bewältigt. Aloisia Föllmer trifft den Charakter der Arbeiten von Helmut Günter Weis sehr gut, wenn sie sagt, seine aus der Intuition geborenen Bilder verkörperten die Einheit von Experimentellem und Poesie, von wuchtvoller Selbstentäußerung und malerischer Sensibilität.

Prof. Dr. Manfred Fath (Kunsthalle Mannheim)

englischer Text



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